Als mein Papa starb, war ich selbst längst erwachsen. Der Tod kam nicht überraschend und war eine Erlösung nach einem langen Weg voller Krankheit und Schmerz. Dennoch hat er meine Welt von jetzt auf sofort komplett auf den Kopf gestellt. Plötzlich war ich nicht nur die erwachsene Tochter, sondern auch ein kleines Mädchen, das einfach nicht weiß wie ihm geschieht. Und ich musste an Todesfälle in meinem Freundeskreis denken, bei denen viel zu kleine Kinder Mutter oder Vater viel zu früh verloren haben. Und ich fragte mich damals, wie man das wohl bewältigen kann, wenn man selbst so voller Schmerz ist und zur eigenen Fassungslosigkeit kommt der Schmerz unseres Kindes hinzu, dem wir etwas erklären müssen, das wir selbst nicht begreifen können.
Die doppelte Last der Trauer
Seit ich Trauerrednerin bin, begegnet mir diese Frage immer wieder. Und es berührt mich so sehr zu sehen, wie Eltern diese schwere Aufgabe meistern. Wenn sie eine Antwort auf die Frage finden müssen „Warum weinst du, Mama?“ oder „Kommt Opa wieder?“
Wie sie ihrem Kind erklären müssen, dass Oma, Vater oder ein Geschwister nie wiederkommen werden. Wie sie all ihre Kraft mobilisieren, um ihrem Kind beizustehen, wenn sie sich selbst vielleicht so verloren und traurig wie ein kleines Kind fühlen.
Diese Doppelbelastung ist enorm:
Die eigene Welt steht still und andererseits rotiert sie so viel schneller. So viel stürmt auf einen ein, das man entscheiden und erledigen muss.
Alles in uns schreit nach Rückzug, aber da ist unser Kind, das uns so sehr braucht. Für das wir stark sein wollen, das nicht merken soll – und es natürlich doch tut – wie schlecht es uns geht.
Und immer wieder die quälende Frage: „Mache ich es richtig?“
Die Wahrheit ist: Es gibt kein „richtig“
Ich wollte ich hätte die Antwort auf die Frage, wie man es denn richtig macht, aber dafür gibt es kein Rezept, aber ein paar Gedanken, die vielleicht hilfreich sein können:
- Die eigene Trauer vor Kindern zu verstecken, hilft nicht. Kinder spüren sowieso, dass etwas nicht stimmt. Und sie lernen durch uns, wie man mit Gefühlen umgeht. Wenn wir so tun, als wäre alles in Ordnung, lernen sie, dass man Trauer verstecken muss. Und das wollen wir doch wirklich nicht.
- Gemeinsam zu trauern kann verbinden. Setzt euch mit eurem Kind aufs Sofa und schaut Fotos. Weint zusammen, erinnert euch zusammen, erzählt war euch so einfällt.
- Kinder trauern anders als Erwachsene. Glücklicherweise können Kinder zwischen tiefer Traurigkeit und fröhlichem Spiel hin und herspringen. Das mag sich vielleicht komisch anfühlen, aber für Kindern, die es noch nicht verlernt haben, im Hier und Jetzt zu leben, kann das Spiel mit den Freunden auch in der Trauer Vorrang haben.
- Unterstützung annehmen ist keine Schwäche. Gerade jetzt ist die Unterstützung von Familie und Freunden so wichtig. Nehmt sie an, wenn sie euch angeboten wird oder fragt danach. Oft sind auch unsere Freunde unsicher, was sie machen sollen und können und sind froh, wenn ihr euch meldet.
Wie Bücher eine Brücke bauen können
Vielleicht hört sich das jetzt komisch an, aber ja auch Bücher können in der Trauer sehr hilfreich sein. Sie können eine Brücke bauen – zwischen Erwachsenen und Kindern, aber auch zwischen dem Unfassbaren und dem, was wir verstehen können.
Warum Bücher so helfen können?
Wenn mir selbst die Worte fehlen, dann kann es einem Buch gelingen die richtigen Worte zu finden. Ein Buch und die passenden Bilder können auf kindgerechte Weise erklären, was im Herzen passiert, wenn jemand stirbt, den wir lieben.
Das Vorlesen des Buches schafft eine Insel der Ruhe und der Verbindung. Es fällt leichter über das zu Sprechen, was so unbegreiflich ist, weil es den Helden und Heldinnen im Buch eben auch passiert, man aber nicht direkt über sich sprechen muss.
Ein Buch kann helfen die richtigen Worte zu finden in den Momenten, in denen uns die Worte fehlen.
Nachfolgend Bücher zum Thema Kinder, Tod und Trauer die mir gut gefallen haben.
Altersempfehlung: 4-6 Jahre
Das Loch von Lindsay Bonilla Illustratorin: Brizida Magro
Diese einfühlsame Geschichte handelt von einem Kind, dessen Bruder Matti gestorben ist. Und seitdem ist überall ein Loch wo vorher Matti war. Und das Loch folgt unserem kleinen namenlosen Helden überall hin. Manche können das Loch gar nicht sehen, andere haben auch ein Loch – ihren Papa, ihre Tante, ihre Oma. Das Buch begleitet den kleinen Helden auf seiner Reise, mit diesem Loch umzugehen – es zu verstehen, anzunehmen und schließlich zu lernen, damit zu leben. Text und Bilder setzen die nicht greifbare Trauer in gut verständliche und farbenfrohe Bilder um.
Zuckersüß Verlag, 2025 , 40 Seiten, 24,90 €
„Leb wohl, lieber Dachs“ von Susan Varley
Das Buch erzählt sehr warmherzig die Geschichte von einem alten Dachs, der weiß, dass er bald sterben wird und sich darauf vorbereitet. Es beschreibt, wie der Dachs nach seinem Tod wieder jung wird und sich besser fühlt und keine Schmerzen mehr hat. Seine Freunde trauern um ihn und finden Trost in den schönen Erinnerungen an ihre ganz besonderen Erlebnisse mit dem Dachs. Ein großer Teil des Buches sind „einfach nur“ schöne Geschichten. Direkten Bezug zu Thema Tod gibt es nur am Anfang und am Ende, die Geschichten in der Mitte könnten in jedem Buch stehen, aber ich finde das Buch gerade für eher kleine Kinder ganz bezaubernd. Ich könnte mir auch vorstellen es schon einem/einer 3-jährigen vorzulesen und dann selbst Bezüge zur verstorbenen Person herzustellen.
Ueberreuter Verlag; 12. Edition (13. Juni 2012), 32 Seiten, Preis 8,95 €
Altersempfehlung: 5-10 Jahre
„Geht sterben wieder vorbei?“ von Mechthild Schroeter-Rupieper Illustratorin: Imke Sönnichsen
Eins meiner Lieblingsbücher zum Thema Kinder, Tod und Sterben. Das Buch erzählt von Marlene und Paul und ihrem Opa mit dem sie so viel erleben. Als dieser dann stirbt, erleben die beiden Kinder verschiedene Reaktionen. Marlene weint und kann es nicht glauben. Paul ist wütend. In der Geschichte wird dann geschildert, was alles passiert wenn ein Mensch stirbt, vom Besuch im Bestattungshaus und zur Beerdigung für die die Kinder auch etwas vorbereiten dürfen und sich aktiv einbringen. Das Buch bietet auch ein ganz wundervolles Bild um zu begreifen, dass der Mensch zwar tot ist und seinen Körper abgelegt hat, seine Seele aber weiterlebt.
Auch die unterschiedlichsten theoretischen Fragen die Kinder haben können werden aufgegriffen und in Info Kästen in kindgerechter Sprache beantwortet. Das Buch nimmt Kinder und ihre Fragen ernst, ohne zu beschönigen oder zu kompliziert zu werden Fragen wie: „Woher weiß man, das ein Mensch wirklich tot ist“ oder „Tut das dem Menschen weh wenn er verbrannt wird“ bis hin zu „Kann der Tote ein Gespenst oder Zombie werden“.
Thienemann-Esslinger Verlag GmbH; 14. Edition (13. August 2020), 32 Seiten, 15 €
„Die besten Beerdigungen der Welt“ von Ulf Nilsson Illustratorin: Eva Eriksson
Der kleine Held und seine Schwester Ester finden eine tote Hummel und beschließen, sie zu beerdigen. Und weil es so viele tote Tiere gibt, die nicht beerdigt werden, beschließen sie, sich darum zu kümmern. Putte schließt sich ihnen an und mit Mitgefühl und kindlicher Fantasie gestalten sie eigene Rituale. Und gründen die Beerdigungen AG und gehen das Ganze professionell an. Sie nehmen Aufträge aus der Nachbarschaft an und gestalten ganz wundervolle Beisetzungen mit Liedern und Gedichten. Auf leichte und spielerische Art vermittelt das Buch die Allgegenwart von Tod, den Umgang damit, aber auch die Abläufe wie sie auf einer Beerdigung zu erwarten sind. Es ermutigt Kinder, ihre eigenen Wege zu finden, um Abschied zu nehmen und Trauer zu verarbeiten, und vermittelt, dass Tod und Trauer natürliche Teile des Lebens sind.
Beltz & Gelberg; Lizenzausgabe Edition (9. Juli 2012), 39 Seiten, 6,50 €
„Weil du mir so fehlst“ von Ayse Bosse und Andreas Klammt
Ein Bilder- und Mitmachbuch, das mit großer Sensibilität die Trauer eines Kindes begleitet. Wir lernen einen großen starken Bären kennen, der so traurig ist, weil er jemanden vermisst. Dabei durchlebt er alle Gefühle und Phasen von Trauer. Nach der Geschichte folgt ein großer Mitmachteil mit Stellen zum Ausfüllen und Rezepten. Sie laden die Kinder ein, ihre eigenen Gedanken und Emotionen auszudrücken. Ein Buch zum Vorlesen, selber lesen und eigenes einbringen. Ich würde es Kindern ab 7 empfehlen.
Carlsen; 18. Edition (1. September 2016) , 64 Seiten, 14,99 €
„Gelbe Blumen für Papa“ von Chris Paul
In diesem berührenden Bilderbuch geht es nicht nur um den Tod von Tomkes Papa, sondern auch um die Erkrankung und die Todesart. Tomkes Papa ist an einer ganz besonderen Krankheit verstorben. An Depression. Das Buch thematisiert die Sprachlosigkeit der Erwachsenen, die erst mal nicht darüber sprechen können, woran der Papa gestorben ist, aber dann erklärt die Mama sehr anschaulich, wie es ist an Depression erkrankt zu sein und wie der Papa gestorben ist. Sogar die Todesart wird genannt. Man erlebt welche Gefühle Tomke erlebt und wie die Familie und Tomke mit diesem Verlust umgeht.
Die Autorin Chris Paul ist Trauerexpertin und dem Buch merkt man an, dass sie die Phasen der Trauer und den Umgang damit sehr gut kennt und wirklich gute Ratschläge geben kann.
BALANCE Buch + Medien Verlag; 1. Edition (20. Mai 2021), 44 Seiten, 19 €
Bücher für ältere Kinder die sich auch für die „technische“ Seite rund ums Sterben, Tod und Trauern interessieren.
„Wenn wir ins Gras beißen“ von Eric Wrede
Dieses sachliche, aber kindgerechte Buch erklärt, was nach dem Tod eines Menschen passiert – von der Bestattung bis zu verschiedenen Trauerritualen. Der Autor, selbst Bestatter, beantwortet Fragen, die Kinder oft haben, aber Erwachsene schwer beantworten können. Das Buch hilft trauernden Kindern, indem es Unsicherheiten und Ängste nimmt, die oft aus mangelndem Wissen entstehen. Es gibt ihnen Orientierung in einer verwirrenden Zeit und zeigt, dass sie mit ihren Fragen nicht allein sind. Es zeigt verschiedenen Bestattungsformen und wie Trauerfeiern weltweit aussehen.
Edition Michael Fischer / EMF Verlag; 1. Auflage, Ungekürzte (25. Februar 2025), 48 Seiten, 16 €
„Wie tief ist ein Grab“ von Frank Hartmann
Auch Frank Hartmanns „Wie tief ist ein Grab“ ist ein Sachbuch, das sich mit großer Direktheit und vielen Informationen dem Thema Tod nähert. Die Antworten auf Fragen rund um den Tod werden sachlich und ehrlich, aber auch kindgerecht beantwortet. Dabei werden biologische Fakten über den Körper werden mit philosophischen und spirituellen Überlegungen verbunden.
Verlag Herder; 1. Edition (9. September 2024), 128 Seiten, 18 €
Mein allerliebstes Lieblingsbuch
„Die Brücke hinter den Sternen“ von Cornelia Funke
Cornelia Funke dürfte Menschen fast jeden Alters bekannt sein. Seien es ihre aus dem Leben gegriffenen Wilde Hühner Bücher oder ihre märchenhaften Erzählungen wie die Tintenwelt-Reihe.
Mit „Die Brücke hintern den Sternen“ hat sie ein absolut zauberhaftes Buch zum Thema Tod und Sterben geschrieben, das ich Leser*innen jeden Alters ans Herz legen möchte, weil es so warmherzig und wundervoll geschrieben ist und die ganz große Hoffnung vermittelt, dass wir nach dem Tod abgeholt werden und alle Sorgen und Nöte von uns abfallen. Auch die wundervollen Illustrationen stammen von der Autorin selbst. Ganz große Lese- und Verschenkempfehlung.
Dressler; 3. Edition (9. Januar 2021), 32 Seiten, 15 €
Und jetzt die Frage an Euch: Wart ihr schon in dieser Situation, dass ihr nicht nur selbst getrauert habt, sondern auch noch einem kleinen Menschen durch die Trauer hindurch helfen musstet? Kennt ihr gute Bücher zum Thema: Kinder und Trauer? Ich würde mich freuen, von euren Erfahrungen zu hören.
Danke an Heike Tesmer von Bestattungen Gross die mir etliche der vorgestellten Bücher ausgeliehen hat.
Liebe Andrea,
vielen Dank für diese wertvolle Vorstellung. Ich bin schon lange auf der Suche nach einem geeigneten Buch für Teenager und durch dich endlich fündig geworden. Vielen Dank dafür 💗🙏🏻
Liebe Daniela,
das freut mich sehr.
Euch alles Liebe
Andrea